Über Teamgeist im Sport und in der Medizin

Interviev mit Sebastian Vettel

Sebastian Vettel war 2010 der jüngste Weltmeister in der Formel 1. In den letzten Jahren hat sich sein Fokus zunehmend über die Rennstrecke hinaus verlagert – hin zu Umweltfragen, sozialem Engagement und Zeit mit seiner Familie. Im Interview mit brainstorm erzählte er uns, warum er sich beim Welthirntumortag engagiert, was ihm im Leben Halt gibt und warum ihm die Unterstützung der Deutschen Hirntumorhilfe so wichtig ist.

 

 

Sie haben sich anlässlich des Welthirntumortages mit einer Videobotschaft zu Wort gemeldet und den Aktionstag unterstützt. Wie sind Sie mit diesem Thema in Berührung gekommen?

Sebastian Vettel: Ich bin in meinem persönlichen Umfeld mit der Erkrankung konfrontiert worden. Die Situation hat uns alle aus der Bahn geworfen. Von einem Tag auf den anderen ist man als Familie mit der Thematik befasst und begreift erst nach und nach die Tragweite einer solchen Diagnose. Wir mussten lernen, dass die Medizin zwar große Fortschritte in der Behandlung von Hirntumoren gemacht hat, es aber viele Dinge gibt, über die noch sehr wenig Wissen vorhanden ist. Medizinische Forschung kann nie zu viel unterstützt werden, und dafür ist jede Form der Aufmerksamkeit hilfreich. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen.

 

 

Es gibt nur wenige Äußerungen zum Thema Hirntumor in der Öffentlichkeit. Braucht es Mut, in einem so sensiblen Bereich Stellung zu beziehen?

Den meisten Mut braucht es wohl, sich als Betroffener mit einer solchen Diagnose auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, mit ihr umzugehen. Die traurige Wahrheit ist, dass in vielen Fällen eine Heilung bis heute nicht möglich ist. Mit diesem Wissen und allen damit verbundenen Konsequenzen, Hoffnungen und Ängsten weiterzuleben, sich ihnen zu stellen und gemeinsam da durchzugehen – das ist eine enorme Herausforderung, die von Patienten und Angehörigen Tag für Tag gemeistert werden will. Davor habe ich großen Respekt.

 

 

Inwiefern verändert ein derartiger Schicksalsschlag im persönlichen Umfeld den Blick auf das eigene Leben?

Einen geliebten Menschen zu verlieren ist ein einschneidendes Erlebnis. Jemanden zu früh gehen lassen zu müssen, berührt mich heute, da ich selbst Vater bin und mehr Verantwortung trage, besonders tief. Umso wichtiger ist es mir, die Erfahrungen und die persönlichen Lehren, die man aus so einer Situation zieht, bewusst mitzunehmen. Eine Erkrankung, für die es keine bekannte Ursache, keine Vorbeugung und keine Vorsorge gibt, macht einem schmerzhaft deutlich, dass Gesundheit nicht selbstverständlich ist, wie schnell man selbst auf Hilfe angewiesen sein kann und wie wichtig es ist, füreinander einzustehen.

 

 

Ähnelt sich eigentlich die Arbeitsweise von Spitzensportlern und Ärzten?

Die besten Ergebnisse erzielt man nicht als Einzelkämpfer, sondern im Team. Das gilt im Sport, und in der Medizin verhält es sich meiner Ansicht nach ganz ähnlich. Auch wenn eine Person im Fokus steht – in der Formel 1 der Fahrer, in der Hirntumortherapie viel leicht der Neurochirurg – kann ein optimales Ergebnis, eine optimale Behandlung nur dann gelingen, wenn viele Faktoren gut genug ineinandergreifen und Experten verschiedener Professionen an einem Strang ziehen. Sprich: Ein Rennen fahre ich nicht allein, und eine gute medizinische Behandlung braucht nicht nur einen kompetenten Arzt, sondern qualifizierte Helfer und Unterstützer.

 

 

Ein wichtiger Faktor ist für viele Patienten das persönliche Umfeld. Wie schätzen Sie als Angehöriger den Stellenwert von Familie und Freunden ein?

Ein unterstützendes Umfeld ist extrem wichtig. Ich möchte mir nicht anmaßen, mich in einen Krebspatienten einzufühlen, bin aber generell davon überzeugt, dass jeder Mensch im Leben Rückhalt braucht und in so einer schwierigen Situation noch viel mehr darauf angewiesen ist. Die Herausforderungen, die Patienten zu bewältigen haben, sind groß, psychisch aufgrund der Gesamtsituation, physisch aufgrund der Therapie oder Medikamente. Meine Erfahrung ist, dass man sich in schwierigen Situationen besser fühlt, wenn man nicht allein ist. Familie und Freunde haben daher eine wichtige Aufgabe, sie können seelischen Beistand leisten, Hoffnung schüren, Kräfte bündeln. Und auch die Angebote der Deutschen Hirntumorhilfe helfen sehr dabei, sich besser orientieren zu können. Jeder Patient und jeder Angehörige sollte die Möglichkeit haben, Hilfe und Rückhalt zu finden.

 

 

Die Deutsche Hirntumorhilfe setzt sich dafür ein, dass im Rahmen klinischer Forschung die Patienten perspektive besondere Beachtung findet. Wie wichtig sind Ihnen selbst Autonomie und Selbstbestimmung?

Immens wichtig! Selbstbestimmung ist ein zentraler Aspekt von Lebensqualität. Dazu gehört für mich, zu verstehen, was passiert – allgemein, aber insbesondere in einer Krankheitssituation. Zu wissen, was warum gemacht wird, hilft dabei, schwierige Situationen besser zu meistern. Wenn man weiß, welche Möglichkeiten es gibt, welche Vor- und Nachteile vorhanden sind, dann kann man sagen, was man möchte. Entscheidungen so zu treffen, dass es für einen selbst stimmig ist, darauf kommt es am Ende an.

 

 

Für viele Patienten ist während ihrer Therapie der Erhalt der Lebensqualität wichtiger als eine Lebenszeitverlängerung um jeden Preis. Können Sie dies nachvollziehen, und was bedeutet Lebensqualität für Sie?

Letztendlich ist das wohl eine sehr persönliche und individuelle Einstellung. Grundsätzlich kann ich diese Haltung sehr gut nachvollziehen. Niemand möchte leiden. Für mich selbst bedeutet Lebensqualität insbesondere, Herr der eigenen Sinne zu sein, über die nächsten Schritte selbst entscheiden zu können, nicht fremdbestimmt zu sein. Ich schätze, so geht es vielen Menschen, weswegen Patienteninformation und Aufklärung im Krankheitsfall so wichtig sind!

 

 

Eine schwere Erkrankung ist körperlich und psychisch eine große Herausforderung. Stress, Anspannung und hohe mentale Belastung gehören zu Ihrem beruflichen Alltag. Was hilft Ihnen dabei, sich in diesen Phasen auf das Wesentliche zu fokussieren?

Berufliche Stresssituationen, wie ich sie erlebe, sind natürlich kaum mit der Ausnahmesituation zu vergleichen, die die Diagnose Hirntumor mit sich bringt. Mir hilft es immer, mir vor Augen zu führen und zu verstehen, was ich selbst steuern kann und was nicht – und zwar in allen Lebenslagen. Ich glaube, wir machen uns generell zu oft Sorgen um Dinge, die wir selbst nicht in der Hand haben. Dabei geht jede Menge Energie verloren. Es bringt viel mehr, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die man beeinflussen kann. So lässt sich ein Stück Kontrolle zurückgewinnen.

 

 

Das Einzige, was schwerer ist als Gewinnen, ist Verlieren. Wie gehen Sie mit Niederlagen um?

Ich denke, es ist immer eine Sache der Perspektive. Ob Wut, Frust oder Enttäuschung, man kann sich schnell in eine negative Emotion hineinsteigern. Umgekehrt kann man in den allermeisten Situationen aber auch eine Chance oder etwas Gutes erkennen. Auch hier gilt für mich: Überlegen, auf was ich Einfluss nehmen kann. Das, was sich nicht ändern lässt, abhaken. Den Fokus auf das zu richten, was man aktiv tun kann, hilft dabei, wieder nach vorn zu schauen.

 

 

Was sind Ihre Kraftquellen im Alltag?

Ganz klar: Zeit mit meiner Familie.

 

 

Was ist Ihre persönliche Botschaft an Menschen, die als Patienten oder Angehörige mit der Erkrankung Hirntumor konfrontiert sind?

Jeder Patient durchlebt seine ganz eigene Geschichte und findet seinen eigenen Weg, mit der Erkrankung umzugehen. Davor ziehe ich meinen Hut. Eine solche Situation macht einem auch als indirekt Betroffenen viele Dinge bewusst – beispielsweise, wie wichtig es ist, die eigenen Prioritäten im Leben zu kennen. Aber auch, wenn die Diagnose einen zwangsweise aus der Bahn wirft und man vom Weg abkommt, heißt das nicht, dass man sich nicht neue Ziele stecken kann. Ich kann nur jeden ermutigen, sich dabei so viel Unterstützung wie nötig zu holen, Hilfe anzunehmen und den Blick für das, was Kraft gibt, nicht zu verlieren. Hoffnung für Betroffene liegt im medizinischen Fortschritt, an diesen glaube ich! Für mich persönlich ist die aktive Unterstützung der klinischen Forschung sehr wichtig, und ich denke, dass hier in den nächsten Jahren viel passieren wird. Mein Fokus liegt ganz klar auf der Zukunft.

 

 

Das Gespräch führte Mona Auth.

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